Die B.L.O. Ateliers im Kaskelkiez

Text und Fotos von Fiona Finke

Menschen wuseln um Tische herum, schneiden Figuren aus Pappe, bemalen Folien und bringen markige Sprüche zu Papier. Ein junger Teilnehmer im Löwenkostüm verteilt ausgeschnittene Demoschilder und Pappfiguren auf einem Leuchttisch. Mit einem Klick macht er eine Kamera-Aufnahme. Dann bewegt er die Figuren ein Stück weiter. Wieder ein Klick.

Hier entsteht ein Animationsfilm in Stop-Motion-Technik. Wir befinden uns aber nicht in einem Filmstudio, sondern in der ehemaligen Kantine des Bahnbetriebswerks Berlin-Lichtenberg-Ost (B.L.O.). Seit 2003 ist das Gelände im Kaskelkiez – direkt neben dem S-Bahnhof Nöldnerplatz – ein Künstlerdorf. Etwa 90 Kreative aus Kunst, Kunsthandwerk und Musik arbeiten hier und haben das Bahngelände zu einem Kleinod im zentralen Lichtenberg gemacht. Die Ateliers befinden sich in alten Backsteingebäuden und Schuppen. Auf dem frei zugänglichen Gelände begegnet man überall den hier entstandenen Kunstwerken: ein leuchtend weißer Engel aus Stein, Totenköpfe aus Beton, ein riesiges Fischskelett aus rostendem Eisen. Dazwischen viele begrünte Hochbeete und Blumentöpfe in allen Farben. Tische, Stühle und sogar Sofas laden vor den Ateliers zum Verweilen ein.

Kunst für alle

Die beste Gelegenheit, um die ganze Bandbreite der Kunst hautnah zu erleben und mit den Kunstschaffenden ins Gespräch zu kommen, bietet jeden Sommer der Tag der offenen Tür. Für das diesjährige Fest am 15. Juni wird noch eifrig am Programm für Kinder und Erwachsene gefeilt. Mit dabei sein wird auch der „Complaints Choir“ – übersetzt: Beschwerde-Chor. Jeder darf seine Alltags-Ärgernisse beisteuern und gemeinsam wird die Flut von Beschwerden in ein Musikstück verwandelt und gesungen. Denn geteiltes Leid ist bekanntlich halbes Leid.

Mehrmals im Monat wird außerdem zu Veranstaltungen wie Workshops, Künstlergesprächen oder Filmvorführungen auf das B.L.O.-Gelände eingeladen. So wie heute Abend in der Kantine. Der große Raum ist schummrig beleuchtet, damit alle die Filme sehen können, die über die große Leinwand ziehen. Wer sich vom Kunstschaffen und -genießen erholen möchte, nimmt auf einem der gemütlichen Sofas Platz oder tummelt sich an der Eck-Theke bei Cola, Bier und Wein zu fairen Preisen. Der Trickfilm nimmt unterdessen immer weiter Gestalt an. Die fleißigen Hobby-Filmschaffenden werden angeleitet von Julia vom Projekt „Trickmisch – Das mobile Sprachlabor“. Das Thema sind die „Fridays for Future“-Demonstrationen von Schülerinnen und Schülern für den Klimaschutz. Eine demonstrierende Pappfigur macht zwischendurch einen Handstand. Was im Film nur einen kurzen Moment dauern wird, dafür sind viele einzelne Aufnahmen nötig. Ein Trickfilm ist eine Kombination aus Handwerk und Kreativität – und passt damit perfekt in die B.L.O. Ateliers.

Von Teheran nach Lichtenberg

Nur einige Schritte weiter den Flur entlang liegen die Atelierräume, in denen Ramin Parvin heute Abend seine Malerei präsentiert. Der Künstler aus dem Iran war drei Monate lang zu Gast in den B.L.O. Ateliers. Er hat in Teheran Film und Regie studiert und arbeitet unter anderem mit der Stop-Motion-Technik. Doch Ramin kann und will sich nicht auf ein Medium beschränken. Manchmal hat er einen Film im Kopf und eine Szene daraus bewegt ihn so sehr, dass er sie mit dem Pinsel festhalten muss. Zwei seiner zweimal zwei Meter großen Gemälde hängen jetzt in dem Atelier in Lichtenberg. Dazu mehrere kleinere Bilder auf Papier. Seine wiederkehrenden Themen sind Emotionen, Intimität und die Beziehung von Menschen untereinander. Ramin mischt gerne Darstellungsformen. Nicht nur Film und Malerei, sondern auch Aquarellfarben und glänzendes Bonbonpapier, oder aber plakative Farbflächen und die detailliert gemalten Texturen einer Wolldecke.

Ramin Parvin lebt seit 2017 in Berlin. Er erlebt die Stadt und die Menschen als offen, spannend, an einigen Stellen auch schmutzig und laut. Ganz ähnlich wie in Teheran, sagt er. Sein Gastaufenthalt in den B.L.O. Ateliers ist Teil des Projekts „Hier & Jetzt: Connections“. Es stellt seit 2017 internationalen Künstler*innen im Exil für drei Monate Atelierräume zur Verfügung. Von seiner Künstlerresidenz berichtet Ramin voller Begeisterung. Er hat sich von Anfang an herzlich aufgenommen gefühlt und schätzt den regen Austausch mit den Kolleg*innen vor Ort. Sie liefern ihm Inspiration und neue Denkanstöße. Sein nächstes Projekt wird zwar in Westend stattfinden, aber in die B.L.O. Ateliers in Lichtenberg will Ramin bald wieder zurückkehren. Seine Nachfolger*innen im Residenzprogramm sind gleich 14 Künstler*innen. Sie bilden die Performance-Gruppe DIE KOMPANIE und werden ihre Arbeit im Juni live präsentieren.

B.L.O. Ateliers

  • auf dem Gelände des ehemaligen Bahnbetriebswerks Berlin-Lichtenberg-Ost
  • ca. 90 Kunstschaffende und Handwerker*innen mit Ateliers und Werkstätten
  • Trägerverein Lockkunst e.V.
  • regelmäßig Veranstaltungen für die Öffentlichkeit, viele davon kostenlos
  • idyllisches Gelände mit Kunstwerken und Urban Gardening direkt beim S-Bahnhof Nöldnerplatz  
  • Kaskelstr. 55, 10317 Berlin
  • www.blo-ateliers.de

Hier & Jetzt: Connections

  • Austausch- und Residenzprojekt mit Künstler*innen im Exil
  • arbeiten für jeweils 3 Monate auf dem B.L.O. Gelände
  • initiiert durch Künstler*innen der B.L.O. Ateliers
  • gefördert durch das Bezirksamt Lichtenberg, Amt für Weiterbildung und Kultur
  • Veranstaltungsprogramm mit Filmen, Diskussionen und offenen Ateliers
  • www.hierundjetzt.blo-ateliers.de

Trickmisch – Das mobile Sprachlabor

  • Trickfilm-Projekt für Kinder und Jugendliche
  • unterstützt spielerisch das Deutschlernen
  • das Mobile Sprachlabor kommt in Berliner Schulen und Notunterkünfte
  • online kann jeder seinen eigenen Trickfilm erstellen
  • www.trixmix.tv / www.trickmisch.de

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