Besuch bei der Koptischen Gemeinde in Lichtenberg

–  von Alexander Liers

Ein bekanntes Bauwerk beherrscht  die Stadtsilhouette von Alt Lichtenberg. Es ist die am Rodeliusplatz befindliche ehemalige evangelische Glaubenskirche (erbaut 1903-1906).

Dieses beeindruckende Bauwerk wird seit 1996 von der Koptisch-Orthodoxen Kirche, genauer gesagt der Gemeinde St. Antonius und St. Shenouda genutzt.

Da relativ wenig über die Gemeinde bekannt sein dürfte, ist es an der Zeit, dass unser Kiezreporter diese einmal besucht – und uns zu einem Spaziergang ins Gebäude mitnimmt.

Angemeldet durch die Stadtteilkoordinatorin Frau Ksenia Porechina (Kiezspinne FAS e.V.) werden wir bereits vom Erzpriester Herrn Girgis El Moharaky und weiteren Mitgliedern der Gemeindeleitung erwartet.

Wir gehen in eine behaglich eingerichtete Kapelle mit hellen Stühlen, die eine ganz besondere Atmosphäre ausstrahlt. Ein angenehmer Duft  liegt im Raum. Das Licht fällt ein – und es ist eine gute Atmosphäre zum Gespräch.

Im Interview mit dem Geistlichen gibt es eine wunderbare Verständigung. Vater Girgis El Moharaky erzählt von seinem Werdegang, nach absolviertem Armeepflichtdienst, wird er Novize im Kloster Moharak, studiert und erhält mit seiner Priesterweihe seinen neuen Namen: Girgis El Moharaky, was Girgis aus Moharak bedeutet.

Am Anfang des Gesprächs erfahren wir, dass die koptische Kirche eine der ältesten christlichen Kirchen ist. Die koptische Kirche geht auf das  alexandrinisch-ägyptische Christentum der Spätantike, dem Patriarchat  von Alexandrien zurück. Als Gründer der koptischen Kirche gilt der Evangelist Markus. Nach koptischer Tradition war Markus der erste Bischof von Alexandrien (68 nach Christus). Er starb als Märtyrer, weshalb die Kirche auch als „Kirche der Märtyrer“ bezeichnet wird.

Noch ein Rätsel wird gelöst: Kopten bedeutet im griechischen und arabischen „Ägypter“. Die koptischen Christen stellen somit die Nachfolger der Urbewohner Ägyptens und der Alten Ägypter, dar, in deren Gebiet viele biblische Handlungen stattgefunden haben. Diese heiligen Orte kann man noch heute besichtigen.

Bereitwillig erklärt Vater Girgis uns wichtige Grundzüge des koptischen Glaubens, wie die Symbolik der Kirche, seiner schwarzen Mütze (mit einem Riss und 12 weißen Kreuzen, die an die Apostel erinnern und einem Kreuz für Jesus Christus), die  Fastenregeln, die Bedeutung der Marienverehrung und vieles mehr. Letztlich zeigt er uns das von ihm gebackene Brot, das in ihrem Gottesdienst Verwendung findet.

Selbstverständlich beantwortet der Erzpriester auch die Frage, warum es eine koptische Kirche in Deutschland bzw. in Berlin gibt? Grund dafür sei die zunehmende Arabisierung und Islamisierung ihrer Heimat Ägypten über Jahrhunderte. Wegen dieser Spannungen zwischen Muslimen und Kopten und wohl der schlechten wirtschaftlichen Situation sind die Kopten nach Europa, in die Schweiz, nach Deutschland und eben auch nach Berlin Lichtenberg gekommen. Auf die Frage, ob sie sich zuhause fühlen, bestätigen die anwesenden Gemeindeglieder unisono, dass sie sich nicht nur zuhause fühlten,  sondern in Lichtenberg zuhause seien. 

Die Koptische Gemeinde gäbe es schließlich schon seit 1979 in Berlin, man habe sich bloß von einer Lagerhalle an der Beusselstraße nach einem ansprechenderen Bau umgesehen.

Mit der Übernahme der ehemals evangelischen Glaubenskirche hat die Gemeinschaft der Kopten nicht nur ein Zuhause gefunden, aber auch eine große Last aufgenommen. Nicht nur, dass bei jeglichen Veränderungen der Denkmalschutz immer ein Wörtchen mitzureden hat, gibt es einen gewaltigen Instandhaltungsrückstau und eine altersschwache Heizung. Hilfe ist gefragt!

Dennoch leisten diese Christen eine großartige soziale Arbeit für ihre Brüder und Schwestern, denen es nicht mehr ohne weiteres möglich war, in ihrer Heimat zu bleiben. Direkte Anfeindungen gingen nicht so sehr vom Staat aus, wenn es auch Diskriminierung gab, aber von Fanatikern, so dass die Menschen nach Anschlägen auf ihre Gottetteshäuser und auf Geschäfte flüchten mussten. Nun leben sie hier. Die Situation vieler Gemeindeglieder ist gekennzeichnet von Armut, Angst vor Abschiebung, schlechten Wohnbedingungen und verständlichen Zukunftssorgen. Das ständige Nichtwissen über das „Wie weiter“ zermürbt besonders.

Dabei ist ihr Wille zur Integration groß. Die Gemeinde bietet neben der geistlichen Sonntagschule, die den Familien und Kindern Halt und die Möglichkeit des Miteinanders bietet, auch vielerlei Hilfe an. Sei es beim Erlernen bzw. Verbessern der deutschen Sprache, Begleitung bei Ämtergängen, Arztbesuchen oder Vorstellung bei potenziellen Arbeitgebern. Vieles geschieht ehrenamtlich, denn diese Kirche erhält keine ausreichende staatliche Unterstützung für ihre Arbeit (geschweige denn Kirchensteuer). Viel geholfen wäre dieser Gemeinde schon, wenn eine weitere Sozialarbeiterstelle bewilligt werden würde  – Das müsste doch zu bewerkstelligen sein, denn letztlich spart der Staat nach Meinung des Kiezreporters am falschen Ende. Menschen, die uneigennützig, ehrenamtlich soziale Arbeit machen, gehören unterstützt und ausreichend materiell entschädigt!  Auch private Hilfen sind willkommen durch Einzelpersonen und Organisationen in Form von Geldspenden und Engagement!

Nachdem wir ein so interessantes Gespräch in der Kapelle geführt haben, müssen wir noch die Hauptkirche besichtigen, die der Kiezschreiber noch von früher kennt. Voller Stolz wird der Sandstein mit den Erbauungsdaten gezeigt und auch der Altar, der noch steht, aber von einer wunderbaren Ikonastase, einer christlichen Raumteilung beherrscht wird. Es handelt sich hierbei, wie bei allen Bildern in der Kirche um originale Werke aus Äthiopien. Auch ein Bild des dortigen Papstes ist zu finden.

Wenn man dann noch erfährt, dass zur koptischen Gemeinde 250 Familien mit mehr als 100 Kindern gehören, die wöchentlich zum Gottesdienst und anderen Veranstaltungen kommen, erkennt man den Wert dieser Gemeinde noch einmal ganz anders. Hier wird in Gottes Namen gebetet, geholfen, zusammen gelebt, gegenseitig gestärkt und für den Frieden in der Welt gewirkt!

Wichtig ist der Koptischen Kirche aber das Miteinander in der Gemeinde und im Kiez. Die Gemeindeglieder sollen in Ruhe und ohne Angst vor Abschiebung leben können, die Gemeinde möge wachsen, nach innen und außen wirken – und den Menschen in der Nachbarschaft möge es ebenfalls gut gehen! Ein gemeinsamer Spielplatz auf dem Rodeliusplatz wäre ein guter Begegnungsort!

Auch wenn sich die Koptische Kirche vorrangig um ihre Gemeindemitglieder kümmert – ist sie doch offen für jedermann! Sie ist eingebunden in das Weltchristentum durch die Mitarbeit im Ökumenischen Rat der Kirchen. Sie pflegt gute Kontakte zu den umliegenden Gemeinden, von der Freikirchlichen Gemeinde Heinrichstraße über die Paul-Gerhard-Gemeinde bis hin zur katholischen Kirche.

Als Kiezreporter weiß ich, dass das Betreten einer Kirche bei einigen Menschen Schwellenangst erzeugt. Eine gute Möglichkeit diese zu überwinden, ist der Tag des offenen Denkmals am 09.09.18 Da ist die Kirche für alle geöffnet – und die Türen stehen noch weiter offen als sonst!

Es lohnt allemal…

 

Rahmenfeld :   Sonntag 09.09.2018  Tag der Offenen Tür   

                         Koptisch-Orthodoxe Kirchgemeinde St. Antonius und St. Schenouda

                         Roedeliusplatz 2
                         10365 Berlin- Lichtenberg

                          Öffnungszeiten: 10 – 16 Uhr

Kiezreporter*innen wirken selbständig und schreiben ehrenamtlich. 

Fotos: Öffentlichkeitsarbeit Kiezspinne FAS e.V., Ksenia Porechina