TEXT UND FOTO VON FIONA FINKE

Die Großsiedlung Fennpfuhl feiert 2022 ihren 50. Geburtstag. Doch schon vorher gab es Bebauung an den Stillgewässern Fennpfuhl und Langpfuhl. So wurde 1896 ein stattliches Wohngebäude nahe des Ufers gebaut. Das spannende Leben dieser 125 Jahre alten Villa ist eng mit dem Fennpfuhl verknüpft und sie kann die Geschichte des Lichtenberger Ortsteils aus erster Hand erzählen. Zwischen Fennpfuhl-Park und Tram-Grüngürtel steht die Villa am Fennpfuhl recht idyllisch. Das weiß gestrichene Gebäude mit rotem Sockel hat zwei hohe Geschosse und einen ausgebauten Dachstuhl. Dazu schöne Giebel, unaufdringliche Säulen am Eingang und ein reich verziertes Portalfenster. Umgeben ist das kleine Grundstück von einem historisch anmutenden, weißen Zaun.

„Viele Menschen sind überrascht, mich zwischen den Plattenbauten zu sehen“, schmunzelt die Villa im Interview. Seit 2008 ist das Gebäude eine Event-Location. Schmucke Räume können für Hochzeiten oder Geburtstagsfeiern gemietet werden. Dafür wurde das Gebäude aufwendig renoviert. Das Äußere steht seit 1993 unter Denkmalschutz, aber innen konnte der Besitzer Wolfgang Looß seine Vorstellungen verwirklichen. „Mein Besitzer ist stolz darauf, was aus mir geworden ist. Als er mich gekauft hat, stand auf dem Balkon schon das Wasser. Das ging an die Substanz“, erzählt die Villa ganz offen.

Vom Königlichen Gartenbaubetrieb bis zur Kriegsverwundung

Erbaut wurde die Villa am Fennpfuhl 1896. Gustav Adolph Schultz kaufte 1887 Land in der damaligen Straße 60 und betrieb eine Großgärtnerei. Die Villa erinnert sich: „Herr Schultz war Königlicher Hoflieferant seiner Majestät des Kaisers und bekam noch den Titel Königlicher Gartenbaudirektor. Da war eine Villa natürlich standesgemäß.“

Zu dieser Zeit wuchs Berlin enorm, und wer es sich leisten konnte, zog an den Stadtrand, wo es ruhiger und grüner war. Um die Gewässer Fennpfuhl und Langpfuhl – beide wurden erst um 1980 zusammengelegt – befanden sich überwiegend Kleingartenkolonien. Ab 1901 diente das große Ausflugslokal Seeterrassen mit Konzerten und Bootsverleih zur Naherholung der Stadtbevölkerung. Ebenfalls um die Jahrhundertwende entstand in der Herzbergstraße das Gewerbegebiet, das es heute noch gibt. Die Villa hat beim Gedanken daran gemischte Gefühle: „Durch Siemens und später den VEB Elektrokohle kam oft Schwebstaub herübergeweht. Auch die Geruchsbelästigung hat die Menschen genervt, die in mir wohnten. Das kam vom riesigen Zentralvieh- und Schlachthof. So ein süsslicher Geruch von der aufdringlich-ekeligen Sorte. Zum Glück habe ich selbst keine Nase.“

Die Menschen, von denen die Villa spricht, das waren nach der Familie Schultz ab 1904 die Gebrüder Köpp. Sie kauften das Grundstück mit der Villa für ihre Nutzholzhandlung. In den Folgejahren kam es zu Erbstreitigkeiten und zur Aufteilung des Grundstücks. Die Villa erwarb 1938 der Seifen- und Chemiegroßhändler Gottlob Meissner. Bald darauf begann der Zweite Weltkrieg. Die Villa hält an dieser Stelle des Gesprächs inne und erzählt dann nachdenklich: „Im Krieg habe ich gesehen, wie Menschen zur Arbeit in den Industriebetrieben gezwungen wurden. Es gab in meiner Nähe Baracken für etwa 900 Zwangsarbeiter. Bomben wurden auf Berlin geworfen und die Menschen haben um ihr Leben gefürchtet – wir Gebäude auch. Mir wurde in den letzten Kriegstagen mein Turm abgeschossen. Er sollte der Gegenseite nicht als Ausguck dienen.“ Bei diesen Sätzen schaudert die Villa; zwei Tauben fliegen empört vom Dachgiebel auf. „Mein Besitzer möchte das Türmchen rekonstruieren, damit ich wieder wie in meiner Jugend aussehe.“

Die vergleichsweise wenig beschädigte Villa wurde nach dem Krieg zum Sitz der russischen Kommandantur und im Garten lagerte die sowjetische Militäradministration Kriegsgerät. „Über diese Zeit kann ich nichts sagen, alles streng vertraulich“, entschuldigt sie sich.

Supermoderne Neubauten und ein schmucker Park

In der jungen Hauptstadt der DDR herrschte Wohnungsmangel und im Gebiet um den Fennpfuhl war Platz für Neubauten. In den 1950er-Jahren verhinderten wohl Finanzierungsschwierigkeiten und der feuchte Baugrund die Realisierung von Architekturentwürfen. Doch zu Beginn der 1970er-Jahre wurde ein neuer Anlauf unternommen. Am 2. Dezember 1972 berichtete die Tageszeitung Neues Deutschland über die Grundsteinlegung für das Doppelhochhaus am Roederplatz. „Das waren aufregende Zeiten“, erzählt die Villa, die 1949 enteignet worden war. Nun wurde das Gebäude Sitz der Bauleitung. „So ziemlich alles um mich herum wurde dem Erdboden gleich gemacht, auch die Kleingärten“, berichtet sie. „Es gibt nicht mehr viele, die aus den alten Zeiten berichten können. Der Fennpfuhl, das Gewässer meine ich, gehört dazu; auch die alte Kastanie; und die ehemalige Schule von 1912, die jetzt Volkshochschule und Musikschule ist.“

Die Fennpfuhl-Siedlung wurde als erste zusammenhängende Großsiedlung in Plattenbauweise Vorreiter für die später entstehenden Stadtteile Marzahn und Hellersdorf. Zu den Besonderheiten zählte neben neuartigen Plattenbautypen auch die umfassende Infrastruktur. Zusätzlich zu mehr als 15.000 Wohneinheiten wurden Kindergärten, Freizeiteinrichtungen, eine Poliklinik und das über den Stadtteil hinaus beliebte Konsument-Kaufhaus gebaut. Zum Schluss wurde der Fennpfuhl-Park angelegt, an dessen Rand die Villa steht. Bei dem Gedanken an den Park kommt die Villa ins Schwärmen: „Ich habe mir immer einen tollen Park gewünscht. So etwas gehört doch zu einer Villa dazu.“ Sie lacht laut auf, woraufhin sich einige Spaziergänger*innen erschrocken umschauen. „Der Fennpfuhl-Park ist nicht Sanssouci“, fährt sie fort, „aber so wie es ist, passt alles toll zusammen. Es gibt Kunstwerke, eine imposante Fontäne und die schöne Brücke. Im Wasser spiegeln sich die Hochhäuser und die Wohnriegel blocken den Großstadtlärm ab.“

Die Park-Idylle war vielleicht auch Grund dafür, dass die Villa zum Standesamt wurde. Nach fast 18 Monate andauernden Restaurierungsarbeiten eröffnete das Standesamt Lichtenberg am 12. Mai 1986 und blieb bis 2006 dort. Die Villa war damals 90 Jahre alt und für die Restaurierung entsprechend dankbar, wie sie zugibt: „Um mich herum waren die hoch aufragenden, supermodernen Neubauten entstanden. Sie waren gedämmt, gut beheizbar und hatten speziell entwickelte Möbelstücke und Einbauten. Leute, die an mir vorbei spazierten, sagten oft, wie froh sie seien, eine solche Wohnung bekommen zu haben. Da fühlte ich mich manchmal altmodisch und grau.“ Die wichtige Aufgabe als Standesamt half der Villa aus dem kleinen Tief heraus und sie erlebte auch die Wendezeit in dieser Funktion. An die Jahre 1989/90 erinnert sich die Villa gut: „Die Standesamt- Mitarbeitenden unterhielten sich in der Teeküche oder es lief das Radio. Ich habe was von blühenden Landschaften gehört, bin mir aber nicht sicher, wo die waren. Im Fennpfuhl-Park blühte es eigentlich wie immer. Der Natur sind politische Systeme egal.“

Auf die Frage, was sie sich für die nächsten 50 Jahre Fennpfuhl wünscht, antwortet die Villa: „Das Wichtigste ist mir, dass sich die Menschen umeinander kümmern und auch gut mit meinem geliebten Park und dem Fennpfuhl-Gewässer umgehen. Uns allen wünsche ich viele Gründe zum Feiern, auch außerhalb von Jubiläen. Zum Beispiel das jährliche Fennpfuhl-Fest. Vielleicht wird es irgendwann wieder so groß, wie die Drushba-Feste, die 1988 und 1989 hier stattfanden.“

Die Gedanken und Gefühle der Villa sind Spekulation. Die Daten, Ereignisse und Fakten in diesem Text sind hingegen recherchiert. Besonderer Dank gilt Rainer Bosse und Wolfgang Looß für ihre ausführlichen schriftlichen und mündlichen Informationen.

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