Selbstportrait eines besonderen Ortes
TEXT VON ALEXANDER LIERS
Gestatten, ich bin es Ihr Fennpfuhl. Ja, Sie haben richtig gelesen. Es wird Zeit, dass ich mich bei Ihnen einmal persönlich vorstelle. Ich bin schon sehr, sehr alt. Eiszeitforscher sagen, ich wäre nach der letzten Eiszeit entstanden; als Schmelzwasserpfütze übriggeblieben, aber diese Bezeichnung kränkt mich ein wenig. Ich bin doch viel mehr!
An alle Geschehnisse, die meine Wellenaugen bis jetzt gesehen haben, kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich will aber versuchen, wichtige Erlebnisse an meinem Ufer zu erzählen. Und das geht so:
Früher und damit meine ich die Zeit, als Lichtenberg noch ein Dorf war, gab es hier weites Feld, Wiesen und Sandwege. Gewiss haben auch schon einige Menschen am Ufer gewohnt, aber ich erinnere mich nicht mehr genau. Irgendwann, es wird so um 1800 gewesen sein, haben sich hier die ersten Gärtnereien breitgemacht, denn der Boden rund um mich war ja feucht genug.Den Gärtnereien folgten kleine Häuser, später Kleingärten und weiter weg auch Handwerks und Industriebetriebe. Es war eine ruhige Zeit. Ab und an erfuhr ich was von meinen Nachbarn dem Langpfuhl.
Ab 1933 drangen immer öfter auch schmerzhafte Geräusche an mein Ohr. Glaubt Ihr, ich hätte nicht mitbekommen, wie schwarzbraun die Gedanken der Menschen an meinen Ufern geworden waren, wie sie für einen unsinnigen Krieg vorbereitet wurden und statt zu spazieren, zu marschieren begannen wie später Gefangenenlager an meinem Ufer entstanden sind und wie die ersten Bomben um mich herum einschlugen. Ich dachte, es bricht mir das Herz! Ich habe mir geschworen, das darf nie wieder geschehen!
Aber ich wollte ja schöne Dinge erzählen: Dazu gehörte ein Architekturwettbewerb, der damals noch für Gesamtdeutschland ausgeschrieben wurde. Es ging darum, für das wachsende Berlin neuen Wohnraum zu schaffen. Aber dem Gelände um mich herum und seiner Feuchtigkeit war nicht beizukommen und so wurde das Projekt beendet, ehe es begann.
Nach einer jahrzehntelangen Ruhephase fanden sich erst ab 1961 wieder mutige Architekten, Planer und Bauleute. Sie meinten in der Umgebung könnten doch wirklich viele Menschen gut wohnen. In mir sahen sie eine „Sehenswürdigkeit“ und ein Erholungsgebiet. Ich habe so ein Treiben in der Nähe noch nie erlebt .
Ich erinnere mich noch ganz genau: am 2. Dezember 1972 erfolgte die erste Grundsteinlegung für ein Doppelhochhaus am Roederplatz . Es fielen wundersame Worte wie „Investitionsobjekt“, „Wohngebiet“, „Plattenbau“, P2 und ich merkte, wie die Erde bebte, wie Fundamente gegossen und darauf unzählige Häuser gebaut wurden. Platte für Platte entstanden neue Wohnungen.
Auch bei mir selbst wurde Hand angelegt. Ich wurde mit dem Langpfuhl verbunden. Nunmehr wurde um mich herum ein richtiger Landschaftspark entwickelt, ein Paradies für Spaziergänger und Erholungssuchende! Für Letztere wurde eine Brücke angelegt, dahinter ein Warenhaus und eine Bibliothek. In der Nähe entstanden ein Ärztehaus, mehrere Schulen, ein Sportplatz. Der Roederplatz wurde gestaltet. An meinem Ufer wuchsen die „Seeterrassen“, die leider wieder verschwunden sind, ein Bootsverleih, der die Wende nicht lange überstand. Ein neues Einkaufscenter, das City Point Center wurde gebaut. Ein baufälliger Tunnel wurde zum „Jugendclub Tube“ umgebaut. Es hat sich in den vergangenen 50 Jahren viel verändert, aber meine Umgebung finde ich immer noch traumhaft!
Ganz besonders mag ich die Kinder, wenn sie die Vögel beobachten. Aber immer öfter möchte ich ihnen zurufen: „Die Vögel können sich ganz prima ihr Futter selbst suchen!“ Aber sie hören mich ja nicht! Dann sehe ich Menschen achtlos Brotkrummen in den See werfen, doch ich weiß ganz genau, dass das nicht die Lieblingsspeise meiner Vögel ist. Die Krumen sinken auf den Grund und machen mir selbst Beschwerden. Ja, einige Menschen haben die guten Manieren verlernt! Sie schmeißen Fahrräder, Autoreifen, Einkaufskörbe und vieles mehr ins Wasser. Immer öfter zieht Grillgeruch in meine Nase. Ich mag ihn, aber werde ärgerlich, wenn ich erfahre, dass Berge von Grillmüll zurückgelassen werden. Menschen, alles was Ihr in den Park tragt, nehmt doch bitte wieder mit nach Hause! Besonders weh tut es mir, wenn Schwäne gequält werden!
Zum Glück gibt es Menschen, die sich um meine Sauberkeit kümmern. Tauchpioniere werden sie genannt und holen all das aus dem Fennpfuhl, was nicht hineingehört. Der letzte Einsatz war vor 2016. In 2022 soll ein weiterer folgen. Neu sind auch die Parkwächter. Sie haben ihren Bauwagen aufgestellt und sorgen für Ordnung an meinem Ufer. Nehmt doch bitte ihre Hinweise ernst! Ich möchte doch, dass Ihr Euch noch lange an mir, Eurem Fennpfuhl erfreuen könnt!
Übrigens, ich hatte es schon eingangs erwähnt, unser Wohngebiet wird nächstes Jahr 50 Jahre alt.
Ich finde es ist eine gute Gelegenheit, sich an dem zu erfreuen, was geschaffen wurde, zu genießen, was man vor der Tür hat, Unzufriedenheit durch gemeinsames Engagement zu überwinden oder einfach mal wieder eine Runde an meinem Ufer spazieren zu gehen. Am besten mit anderen gemeinsam! Laden Sie doch mal Ihre Nachbarin oder Nachbarn zu einem Spaziergang ein!
Ich werde mich bemühen, im schönsten Glanz zu strahlen! Bis zum Wiedersehen!
Ihr Fennpfuhl
Foto: Ksenia Porechina