Porträt einer Fennpfuhlerin

TEXT UND FOTO VON KSENIA PORECHINA

Vor langer, langer Zeit gab es ein kleines Mädchen, das gerne malte. Es saß an seinem kleinen Tisch und hat stundenlang gezeichnet. Besonders mochte es die Fantasiewelt der Prinzen und Prinzerinnen. Da das Mädchen recht klein war, um Prinzessinnen richtig auszusprechen, hat es das Wort Prinzerin erfunden. Ebenso fasziniert war es von der Hexe Pauline und anderen Zauberwesen, die sein Großvater wohl regelmäßig in der Stadt traf. Tischler vom Beruf, Geschichtenerzähler und Abenteurer vom Wesen, durfte der Großvater dem Mädchen lange und detailliert diese Begegnungen beschreiben, um seinen Eifer nach neuen Eindrücken zufrieden zu stellen.

So stand es nicht wirklich vor einem Dilemma, was es werden möchte, wenn es mal groß wird. Doch lebte das Mädchen nicht in einer Fantasie-, sondern in einer realen Welt, wo Hass, Zerstörung und Gier an manchen Zeiten und Orten überhandnehmen. Die Familie des Mädchens wurde am Anfang des Krieges aus der Stadt Berlin evakuiert, zog von einem Ort zum anderen, bis sie im Jahr 1945 vom Großvater aufgespürt und nach Köpenick geholt wurde.

Brigitte Riebe heißt das Mädchen in dieser Geschichte. Das Mädchen und dann eine junge Frau, die einen Traum hatte, Kleidung zu entwerfen und Fantasiewelten zu erschaffen. Ihr Traum darf wahr werden. Im Jahr 1954 wird sie an der „Fachschule für Textil und Mode“ am Warschauer Platz angenommen; einer Schule, die einen zentralen Stellenwert in der Ausbildung von Gestalter*innen in der DDR hatte. Davor durfte Brigitte Riebe ihr näherisches Talent in der Schneiderfachschule und in einem Schneidersalon in Köpenick zur Probe stellen. Nach einem erfolgreich abgeschlossenen Studium wird Brigitte Riebe im Damenoberkleidungswerk Friedrichshain in der Grünberger Straße 54 als Jungingenieurin und Modeentwerferin eingestellt. An diesem Ort arbeitet sie als Modegestalterin bis in den Anfang der 1990er-Jahre hinein.

Brigitte Riebe erzählt gern von ihrer Arbeit als Modegestalterin, obwohl sie anfänglich doch ans Theater wollte; als Kostümdesignerin. Viele produktive Jahre, mit Preisen ausgezeichnet, folgen. Die größte Auszeichnung war der Designpreis der DDR im Jahr 1978 gemeinsam mit anderen Kolleg*innen. Damals unternimmt sie viele Reisen ins Ausland, richtet Modenschauen aus und läuft sogar des Öfteren als Mannequin mit. Frau Riebe kannte Prof. Arthur Winter seit den Studienzeiten und ist sogar Wolfgang Joop begegnet, als er die DDR-Betriebe beraten hat, wie die westliche Mode funktioniert. Denn produziert habe der VEB Berliner Moden zu 70 Prozent für die Kundinnen in der Sowjetunion, seit den Fünfzigern auch für die Bundesrepublik. Zu den Abnehmer*innen gehörten unter anderem C&A, Hertie und Quelle.

Ich treffe Frau Riebe in ihrer liebevoll eingerichteten und picobello sauberen Wohnung im Fennpfuhl. Die Möbel stammen nicht aus modernen Zeiten, sehen dennoch hip aus, da neuerdings bei jungen Menschen der „Mid-Century Stil“ in ist. In der Wohnung im Fennpfuhl wohne sie seit 1975; in dem Jahr sei sie mit ihren Eltern hierhergezogen. Zuerst haben sie und ihre Mutter Köpenick schmerzlich vermisst, aber dann gewöhnten sie sich an die Gegend, wo man unter Nachbarn so viel Zusammenhalt erfahren habe.

Wer bei dem Begriff Modedesigner*in sofort an Kunstfiguren wie Karl Lagerfeld oder Wolfgang Joop denkt, wird niemals in dieser klassisch angezogenen, ruhigen, fast schüchternen Frau eine Modedesignerin vermuten. So war sie immer, habe sich eher zurückhaltend gekleidet, keinen modischen Schnickschnack getragen. Trotz der vielen Auszeichnungen habe sie sich nie als etwas Besonderes gefühlt, obwohl ihr Name und ihre Fotos des Öfteren in den Zeitungen erschienen sind. „Ich bin ja gar nicht so“, sagt sie mit einem Schmunzeln. So sehe ich sie auf den Bildern, umgeben von Models in ihren Entwürfen. Eine Frau mit dunkler Mähne, die einerseits Sicherheit in ihrem beruflichen Tun ausstrahlt und andererseits ein sehr schüchternes Lächeln hat.

Sie bereitet das Kaffeegedeck für uns vor: eine mit Kreuzstich bestickte blauweiße Tischdecke, blau-weißes Geschirr. „Die Decke habe ich selbst bestickt, und das Service ist noch aus den DDR-Zeiten.“ Wir schauen uns in der Zwischenzeit ihre Entwürfe an, alles mit der Hand gemacht: Tusche und Aquarell. Keine einzige unsichere Linie, alles selbst gezeichnet; von Anfang der 1960er- bis zu den 1990er-Jahren. Danach gibt es keine Entwürfe mehr. „Berliner Moden“ nennt sich nach der Wende in „Victoria F“ um, wird jedoch ein paar Jahre später von der Treuhand verkauft. Brigitte Riebe wird aufgrund ihrer Qualifizierung und ihres Alters als nicht mehr zu vermitteln eingestuft. „Das mussten für Sie harte Zeiten gewesen sein.“ Frau Riebe sagt: „Lassen Sie uns doch Kaffee trinken.“ Wir trinken Kaffee und reden über Mode. Sie könne mit der aktuellen Mode und Qualität nicht viel anfangen, ich auch nicht.

Brigitte Riebes neue Leidenschaft ist es, Fotos zu machen. Sie macht sie mit einer kleinen digitalen Lumix-Kamera. Alles, was ihr vor die Linse läuft. Oft bitten sie Freundinnen bei gemeinsamen Treffen, Bilder zu machen: „Brigitte, du hast doch so ein gutes Auge!“

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